Margarete Oehm (1898–1978)

Über das künstlerische Werk von Margarete Oehm (1898-1978)

"Sag mal, was macht eigentlich deine Malkunst?"

Über das künstlerische Werk von Margarete Oehm (1898-1978)

Cristjane Schuessler

Am 4. Juli 1921 fragt ein Freund aus Rotterdam die Stuttgarter Künstlerin Margarete Oehm in einem Brief: "Sag mal, was macht eigentlich deine Malkunst?"1 Bis heute begegnet man ihrer Kunst selten, sie ist nahezu unbekannt. Bekannter ist Margarete als Margrit Baumeister, als die Frau des Künstlers Willi Baumeister (1889-1955). Dabei stellt sie 1924 gemeinsam mit Baumeister in der Zweiten Stuttgarter Sezession aus. Sie ist dort mit der Arbeit "Badende" vertreten Abb. 1, Abb. 2. Die Sezessionsausstellung und eine weitere 1925 im Kunstkabinett am Friedrichsplatz in Stuttgart sind jedoch die einzigen öffentlichen Auftritte von Margarete. 1987 sind posthum Werke in einer Überblicksausstellung zu den Stuttgarter Sezessionen zu sehen.2 Bei diesen drei Ausstellungen werden jeweils eine oder zwei ihrer Arbeiten gezeigt. Mit der Ausstellung "Die Klasse der Damen - Künstlerinnen erobern sich die Moderne" wird erstmals Margaretes Werk in einem exemplarischen Überblick präsentiert. Anhand von 22 Werken und zwei Skizzenbüchern kann ein Eindruck ihrer künstlerischen Entwicklung und ihrer illustratorischen, durchaus amüsanten Formensprache gewonnen werden. Ihr kleines, aber feines künstlerische Œuvre entsteht zwischen 1916 und 1926 und umfasst nahezu 280 Werke, hauptsächlich Arbeiten auf Papier.

Margarete wird am 9. Januar 1898 in einem großbürgerlichen Hause in Stuttgart geboren. Ihr Vater ist der Stuttgarter Friedrich Oehm (1850-1909), ihre Mutter Emma Oehm, geb. Cunradi (1855-1933). Margarete und ihr älterer Bruder Friedrich werden gefördert, das Mädchen erhält privaten Mal- und Gesangsunterricht. Allerdings geschieht dies nicht im Hinblick auf eine Berufsausbildung. Die Erlangung dieser Fähigkeiten erhöht die Chance auf eine gute Heirat. Es gilt: "Die höhere Tochter gehörte selbstredend ins Haus."3 Doch nach den Malstunden bei den Lehrerinnen Fräulein Mürdter und Fräulein May, von denen heute bezeichnenderweise keine Quellen mehr vorliegen, lernt Margarete 1918 in Kassel-Wilhelmshöhe eine neue Malweise kennen. Während ihres Aufenthaltes in einem dortigen Mädchenpensionat nimmt sie Unterricht bei Fräulein Koeppel. In einem Brief berichtet Margarete von einer neuen Methode: Nicht durch direkte Korrektur des Lehrers im Bild des Schülers, sondern durch Erklärung wird unterrichtet.4 Auch wird dort die Malerei als eine ernsthafte Berufsausbildung für Frauen angesehen, eine Möglichkeit, die für Margarete neu ist. Die Motive, die im Unterricht behandelt werden, sind dagegen traditionelle Stillleben.

Weitere Belege ihrer Ausbildung liegen ab 1920 vor. Sicher ist, dass Margarete nie an einer Akademie studiert hat, was in dieser Zeit bereits möglich, aber noch lange nicht üblich ist. Ein Freund, der in München studiert, erhält von Margarete den Auftrag, sich dort nach Ausbildungsmöglichkeiten für sie zu umzusehen.5 Sie entscheidet sich jedoch gegen die Kunststadt München, da Hamburg "gerade jetzt in der Kunst gewaltig vorwärts kommt".6 In den Jahren 1920 und 1921 unternimmt sie Reisen nach Rotterdam, Bremen, Worpswede, Hamburg, Blankenese, Hannover und Berlin. Margarete besucht Freunde und Verwandte. Teilweise reist sie alleine, was zu dieser Zeit für eine Frau unüblich ist. Bei einem ihrer Besuche im Künstlerdorf Worpswede lernt sie den Maler Otto Tetjus Tügel und den Grafiker Hans Saebens kennen. Der Zuspruch der Worpswerder Künstler ermutigt und bestärkt Margarete darin, ihre künstlerische Ausbildung fortzuführen. Tügel bietet ihr Unterrichtsstunden an.7 Margarete plant zunächst, in Hamburg zu bleiben und dort Privatunterricht zu nehmen. Doch weitere Reisen führen sie nach Hannover und Berlin. Schließlich kehrt sie nach Stuttgart zurück. Dort lernt sie 1923 den Maler Willi Baumeister kennen.

Obwohl für die Zeit zwischen 1918 bis 1923 keine Lehrer bekannt sind, entwickelt sich ihr Werk gerade in dieser Zeit hin zu einer eigenständigen Formensprache. Die Stillleben ihrer Schülerzeit interessieren Margarete nicht mehr, sie hat inzwischen eine eigene Figurenwelt erfunden. Ihre Geschöpfe setzen sich aus einzelnen Farbfeldern zusammen. Die Formen sind flächig angelegt und oft von markanten Konturlinien begrenzt. Die Gesichter sind auf wenige Striche und Punkte für Mund, Nase und Augen reduziert Abb. 3. Ebenfalls charakteristisch für die Serie dieser Fantasiefiguren ist die Arbeit "Suchende" Abb. 4. Ein Baum und zwei sich nach vorne neigende Figuren vor einem Teich werden schablonenartig dargestellt. Die Gesichter sind hier ohne die rudimentären Andeutungen von Gesichtsmerkmalen völlig leer belassen. Die "Suchenden" wirken wie ein in sich geschlossenes Bildzeichen.

In einer Serie bemalter Postkarten wird die Abstraktion durch die fehlende Farbigkeit forciert. Die miniaturhaften Figuren erscheinen hier nur noch als schwarze, scherenschnittartige Silhouetten Abb. 5. Der Raum, in den diese Figuren gestellt sind, besteht oft lediglich aus einer Horizontlinie, manchmal ergänzt durch ein Landschaftselement als Pars pro Toto. Diese Beispiele zeigen den illustrativen Charakter dieser Werkgruppe deutlich. Die Fantasiefiguren stellen typisierte Handlungen wie Ballett oder Kirchgang dar Abb. 6, Abb. 7. Oder sie repräsentieren Gefühle wie Streit und Neugierde Abb. 8. Ausgehend von der sich aus Konturlinie und Fläche aufbauenden Figur entwickelt die Künstlerin witzige, variantenreiche und trotzdem typische Bildszenen.

Willi Baumeister ist Margaretes letzter Lehrer. Er variiert den Namen seiner Schülerin zu "Margrit" und fortan nennt sie sich so. 1925 schreibt Margrit an Baumeister: "Sonntag Vormittag arbeitete ich nach Amdener Skizze, doch bin ich mit dem Resultat nicht besonders zufrieden."8 Die Amdener Skizze, die Margrit als Vorlage dient, dürfte sie von ihrem Lehrer bekommen haben. Baumeister lebte von 1912 bis 1913 in Amden, in der Schweiz. Margrits "Landschaft" Abb. 9 beispielsweise könnte durch Baumeister beeinflusst worden sein. Trotz der Anregungen durch den Lehrer arbeitet Margrit an eigenen Motiven weiter. Das Thema des Selbstporträts beispielsweise kommt in Baumeisters Werk sehr selten vor, Margrit dagegen porträtiert sich mehrfach Abb. 10.

Bei einem Aufenthalt in Paris im Juli desselben Jahres stellt sie fest: "Die Welt der Malerei wurde für mich in Paris so groß, daß ich mich entschloß, selbst nicht mehr weiterzumalen."9 Sie ist beeindruckt von den Werken von Piet Mondrian, Fernand Léger, Robert und Sonja Delaunay. Ihre eigenen Arbeiten können ihrer Meinung nach dagegen nicht standhalten. Nach der Eheschließung mit Willi Baumeister beendet Margrit im Oktober 1926 ihre künstlerische Tätigkeit. Nun ist sie diejenige, die Baumeister fragt: "Wie geht´s Deinen Bildern?"10

Die Bilder von Margrit Baumeister respektive Margarete Oehm können heute in einem Online-Werkverzeichnis wiederentdeckt werden.11

publiziert in: (K) Die Klasse der Damen - Künstlerinnen erobern sich die Moderne. Städtische Galerie Böblingen, 2015

1 Vgl. Brief von Willibert Aerxleben an Margarete Oehm, 04. 07. 1921. Die Orthografie aller Briefzitate ist behutsam verändert, Abkürzungen sind ausgeschrieben, Groß- und Kleinschreibung, Rechtschreibung und Zeichensetzung sind zum Teil angepasst. Auslassungen innerhalb der Briefstellen sind mit eckiger Klammer [ …] und Ergänzungen in eckigen Klammern [z.B. Jahreszahl] gekennzeichnet. Der Name Margarete liegt in verschiedenen Schreibweisen vor; in der vorliegenden Arbeit wird der Name Margarete bis zum Jahr 1922 beibehalten. Ab 1923 findet die Variante Margrit fast durchgängig Verwendung, daher wird diese ab dem Jahr 1923 verwendet. Alle Briefzitate stammen aus dem Nachlass Margarete Oehm, vgl. http://www.margarete-oehm.org/autografen

2 1987, Stuttgarter Sezession, Ausstellungen 1923-32/1947, Städtische Galerie Böblingen und Galerie Schlichtenmaier, Grafenau, vgl. den gleichnamigen Katalog, Hrsg. Mück, Hans-Dieter, 1987.

3 Die Künstlerin Philippine Wolff-Arndt (1849 - nach 1933) beschreibt in ihren Lebenserinnerungen das zeitgenössische Frauenbild: "[...] weit entfernt, an einen selbständigen künstlerischen Beruf für die Frau auch nur zu denken. Die höhere Tochter gehörte selbstredend ins Haus.", Philippine Wolff-Arndt: Wir Frauen von einst - Erinnerungen einer Malerin (1929). In: "Und ich sehe nichts, nichts als die Malerei" Autobiographische Texte von Künstlerinnen des 18.-20. Jahrhunderts. Hrsg. Berger, Renate, 1989, S.122.

4 Vgl. Brief von Margarete Oehm an Emma Oehm, 10. 03. 1918: "Ich freue mich besonders immer auf meine Malstunden [...] Fräulein Koeppel [malt] ungern selbst drein [und hilft] nur durch Erklärung und Aufmerksammachen auf die Fehler zur Vollendung [...]".

5 Vgl. Brief von Herrn Luz an Margarete Oehm, 17. 03. 1920.

6 Brief von Margarete Oehm an Emma Oehm, 28. 04. 1920.

7 Vgl. Brief von Margarete Oehm an Emma Oehm, 28. 04. 1920: „Jedenfalls hält [Tügel] allem nach etwas von mir, sonst würde er mir keine Stunden anbieten."

8 Brief von Margrit Oehm an Willi Baumeister, 16. 06. 1925.

9 Günther Wirth, »Weiblicher Dienst an der Kunst, Margaret Baumeister wird heute achtzig Jahre alt«, in: Stuttgarter Zeitung, 09. 01. 1978.

10 Brief von Margrit Baumeister, geb. Oehm an Willi Baumeister, 03. 10. 1933.

 

  • Abb. 1 Badende (MO-081)
    Abb. 1 Badende (MO-081)
  • Abb. 2 Foto: Willi Baumeister, Margarete Oehm, 1923
    Abb. 2 Foto: Willi Baumeister, Margarete Oehm, 1923
  • Abb. 3 ohne Titel – zwei Figuren (MO-228)
    Abb. 3 ohne Titel – zwei Figuren (MO-228)
  • Abb. 4 Suchende (MO-132)
    Abb. 4 Suchende (MO-132)
  • Abb. 5 Streit / Kanal / Gratulant (MO-181)
    Abb. 5 Streit / Kanal / Gratulant (MO-181)
  • Abb. 6 Ballett (MO-180)
    Abb. 6 Ballett (MO-180)
  • Abb. 7 Kirchgang (MO-179)
    Abb. 7 Kirchgang (MO-179)
  • Abb. 8 Neugier (MO-183)
    Abb. 8 Neugier (MO-183)
  • Abb. 9 ohne Titel – Landschaft mit Häusern (MO-015)
    Abb. 9 ohne Titel – Landschaft mit Häusern (MO-015)
  • Abb. 10 ohne Titel – Selbstporträt Margarete Oehm (MO-189)
    Abb. 10 ohne Titel – Selbstporträt Margarete Oehm (MO-189)

Back to Top